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In dieser Online-Ausgabe finden sie zusätzliche Informationen für unsere IPA-Ausgabe von Franz Schuberts Winterreise.

Weitere linguistisch relevante Vorgehensweisen und Entscheidungen sind im Kritischen Bericht zu finden.

Kritischer Bericht

Da der Fokus dieser Ausgabe auf der korrekten Aus-sprache beim Singen liegt, ist der kritische Bericht bewusst kurzgehalten. Aus philologischer, musikwissenschaftlicher und linguistischer Sicht sind jedoch einige Grundsatzentscheidungen bei dieser Edition getroffen worden, die wir nicht gänzlich unkommentiert lassen wollen.

Auf eckige Klammern oder Querstriche zur Kennzeichnung einer phonetischen oder phonologischen Trans-kription wurde zu Gunsten einer Hervorhebung durch einen fetten Text verzichtet.

Betonungen werden anhand von Wortbetonungen beim Sprechen vergeben. Dabei verwenden wir Primär- und Sekundärbetonungen, die sich besonders bei längeren Wörtern nicht unbedingt mit der musikalischen Phrase decken müssen. Akzentuierungen werden nicht angezeigt, ergeben sich aber in aller Regel aus der musikalischen Phrasierung.

Einzelne Silben werden nicht wie üblich durch Interpunktion, sondern durch Bindestriche gekennzeichnet. Analog zum orthographischen Text werden außer den Bindestrichen auch Unterstriche an Wortenden verwendet, um damit das Lesen der Transkription zu erleichtern.

Silbengrenzen werden systematisch verschoben, wenn am Ende einer Silbe innerhalb eines Wortes Konsonanten vorkommen. In diesen Fällen werden diese Konsonanten zu dem Onset, also dem Beginn der darauffolgenden Silbe, hinzugezogen. Von dieser Regel wird nur in Ausnahmefällen, wie bei der Kombination mit äußerst kurzen Notenwerten, abgewichen. Nachvollziehbar wird diese Vorgehensweise besonders in Kombination mit längeren Notenwerten und Melismen, da es ein erklärtes Ziel von vielen Sänger*innen ist, möglichst lang auf sonoren Lauten, wie beispielsweise Vokalen zu verweilen.

Diphthonge werden gänzlich anders übertragen als beim Sprechen, wie Abbildung 3 (im Abschnitt »IPA im Deutschen«) zu entnehmen ist. Dabei wird auch Rücksicht darauf genommen, dass beim Singen der erste Vokal des Diphthongs in aller Regel länger gesungen wird als zweite Vokal bzw. der Übergang/Transition von einem Vokal zum andern, der in der Transkription nicht bzw. nur unzureichend festgehalten werden kann. Unteranderem durch die oft tiefere Position des Kehlkopfes im klassischen Gesang kann die Übertragung des jeweils zweiten Vokals erklärt werden.

Das »r« im Deutschen kann wie unter »IPA im Deutschen« bereits beschrieben auf sehr viele unterschiedliche Arten und Weisen ausgesprochen werden. Aufgrund dieser Komplexität haben wir uns in der Regel für die einfachste Variante, häufig mit tiefem Schwa entschieden. Hier besteht aber häufig die Möglichkeit, die Aussprache nach Vorlieben und je nach Interpretation individuell anzupassen. Deshalb sind die Transkriptionen an diesen Stellen als Vorschläge aber nicht als statische Vorschriften für die Aussprache zu beurteilen.

Die Aspiration bei Konsonanten wird nicht transkribiert, da sie aufgrund phonologischer Regeln vorhersagbar ist und außerdem beim Singen tendenziell geringer ausfällt als beim Sprechen. Das gilt besonders für solistisches Singen, wie es hier der Fall ist.

Mit einer Liaison wird an einigen Stellen angedeutet, dass es sich ursprünglich um zwei Wörter handelt, die aber aufgrund der Schreibung oder der Komposition wie ein Wort auszusprechen sind. Ziel ist eine bessere Orientierung in Bezug zur originalen orthographischen Schreibweise.

Die originale Schreibweise des Liedtextes, die der als Vorlage verwendeten Ausgabe entnommen ist wurde beibehalten und nicht normalisiert. Wir gehen generell davon aus, dass in älteren Schreibweisen auch Informationen zur Aussprache stecken können, wie in dieser Ausgabe beispielsweise die Verwendung von »th« statt einfachem »t«, die für eine stärkere Aspiration der Konsonanten sprechen könnte.

Die Vortragsanweisungen zu den einzelnen Liedern und auch Angaben wie »laut«, »leise«, »stark« oder »a tempo« im Notentext entsprechen in unserer Ausgabe denen der Vorlage, ihre Schreibung wurde allerdings vereinheitlicht. Der Notentext wurde anhand moderner Notensatzregeln bearbeitet: Vorschläge erscheinen stets mit Bindebogen, und Triolen sind – sofern nicht alle drei Noten unter einem Balken stehen – mit einer Triolenklammer ausgezeichnet. Außerdem wurden Kettenbögen (aneinander gereihte Binde- und Haltebögen) aufgelöst, wenn sie nicht Besonderheiten der Phrasierung anzeigen, wie beispielsweise am Beginn von Nr. 1 »Gute Nacht«.

Gelegentlich ist der Unterschied zwischen Akzenten und kurzen Decrescendo-Gabeln im Druck von 1895 nicht erkennbar. Unter anderem ist dies in Nr. 1 »Gute Nacht«, Nr. 3 »Gefror’ne Thränen« und Nr. 4 »Erstarrung« jeweils im Klavier der Fall. Meist konnten wir uns an Parallelstellen – im Sinne gleicher oder immerhin ähnlich gestalteter Passagen – mit eindeutiger Zeichensetzung orientieren und unklare Stellen vereinheitlichen. Die Ungleichmäßigkeiten in der ersten Gesamtausgabe könnten möglicherweise durch die schwere Lesbarkeit von Schuberts Autografen mit oft unsorgfältig geschriebenen Akzenten und Dynamik-Gabeln bedingt sein.

In den wenigen Fällen, in denen die Vorlage die Position dynamischer Angaben – insbesondere Gabeln – nicht ganz eindeutig angibt, haben wir sie stillschweigend der Phrasierung angepasst. Triller, Staccati und – eindeutig als solche erkennbare – Akzente entsprechen dem Druck von 1895, mit Ausnahme der Triller in der Singstimme in Nr. 11 »Frühlingstraum«, die wir nicht eingeklammert wiedergeben.

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Werkeinführung

Die Winterreise D 911 ist das wahrscheinlich bekannteste Werk Franz Schuberts und die weltweit wohl am häufigsten aufgeführte Liederzyklus für Gesang und Klavier. Er entstand im Laufe des Jahres 1827, nur ein Jahr vor Schuberts Tod. Die Textgrundlage bilden, wie bereits in Schuberts erstem Liederzyklus Die schöne Müllerin (1823), Gedichte des Dessauer Dichters Wilhelm Müller (1794–1827).

Das Werk gliedert sich in zwei so genannte Abtheilungen. Die Aufteilung der insgesamt 24 Lieder in zwei Gruppen spiegelt die Entstehungsgeschichte des Liederzyklus wider: Die zwölf Gedichte, die als Grundlage für die Erste Abtheilung dienten, hatte Schubert dem Almanach Urania. Taschenbuch auf das Jahr 1823 entnommen, in dem sie als »Wanderlieder von Wilhelm Müller. Die Winterreise. In zwölf Liedern« überschrieben sind. Erst nach der Vertonung fand Schubert im Sommer 1827 die vollständige Serie von 24 Gedichten, die Müller im Rahmen seiner Anthologie Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Zweites Bändchen 1824 veröffentlicht hatte. Die Zweite Abtheilung bilden also die Lieder, die Schubert bis dahin noch nicht vertont hatte. Die Reihenfolge der Lieder in der Winterreise entspricht dadurch auch nicht der intendierten Reihung von Müllers Gedichtzyklus. Würde man die Winterreise in Anlehnung an die originale Reihung der Gedichte aufführen wollen, ergäbe sich die Abfolge: 1–5, 13, 6–8, 14–21, 9–10, 23, 11–12, 22, 24.

Schon diese Diskrepanz zwischen Müllers Gedichtzyklus und dem Liederzyklus zeigt, dass die Winterreise keiner durchgängigen Handlung folgt, sondern vielmehr einzelne Ereignisse, Gefühle und Situationen abbildet, die der männlich gelesene »Wanderer« auf seiner – wie sich in Nr. 1 »Gute Nacht« andeutet wohl nächtlichen – »Winterreise« durchlebt. Dem Klavier kommt dabei an vielen Stellen eine musikalisch illustrierende Funktion zu. So zeugen Synkopen, Tremoli und überraschende Akzente von den im Text zur Sprache kommenden Gefühlen. Die ungleichmäßige Rhythmik in Nr. 9 deutet beispielsweise das »Irrlicht« an. Insbesondere die Zweite Abtheilung bietet ein reiches Repertoire an Natur- und Umgebungsgeräuschen: von heulenden Hunden, schreienden Krähen und der Imitation eines Posthorns bis hin zum Leiermann (Nr. 24), dessen Drehleier eine schlichte Melodie spielt.

Die Texte der Winterreise bieten eine Fülle unterschiedlicher Interpretationsansätze. Die wohl bekannteste, naheliegende Lesart ist, dass das lyrische Ich sich von seiner/ihrer Geliebten trennen muss und die durchlebten Gefühle verarbeitet und reflektiert. Allerdings ist auch ein Bezug auf das Leben – nicht nur das Liebesleben – und sogar eine politische Deutung der Texte möglich. Wie Sie als Sänger*in die Vielfalt der zur Sprache kommenden Emotionen auslegen, möchten wir gerne Ihnen selbst überlassen.

Die heute gängige Aufführungspraxis von Schuberts Winterreise – und von Liederzyklen ganz allgemein – ist der zusammenhängende Vortrag durch ein einziges Liedduo. Für die Winterreise scheint dies zu Schuberts Lebzeiten selbst im Rahmen häuslicher Musikabende und der Schubertiaden eher die Ausnahme gewesen zu sein. Die gängige Praxis war vielmehr die Aufteilung auf mehrere Sänger*innen oder eine einzelne Aufführung der Lieder. Bis heute lädt die Winterreise nicht nur zur zusammenhängenden Aufführung des Zyklus, sondern auch ganz besonders zum kreativen Umgang mit dem Material ein, auch im Sinne von Bearbeitungen für andere Instrumente. Bereits Franz Liszt arrangierte einige der Lieder für Klavier solo. Heute existieren zahlreiche Arrangements sowohl für Gesang und Instrumentalbegleitung (beispielsweise Gitarre oder Drehleier sowie verschiedene Orchesterbearbeitungen), als auch instrumentale Fassungen. Erwähnt sei die von Tabea Zimmermann 1991 als CD veröffentlichte Adaption für Viola und Klavier. Die kreative Auseinandersetzung mit den Sujets der Winterreise reicht von Berthold Brechts Drama Baal (1918) über diverse szenische Umsetzungen bis hin zu Hans Steinbichlers Filmdrama Winterreise von 2006.

Obwohl im Original für Tenor, hat sich eine Aufführungstradition durch Bariton- und Bassstimmen etabliert. Einspielungen für Tenor gibt es beispielsweise von Peter Schreier (1985 mit Swjatoslaw Richter; 1994 mit András Schiff), für Bariton/Bass von Dietrich Fischer-Dieskau (1948, 1963, 1966, 1971, 1978, 1980 und 1985), Christian Gerhaher (2001 mit Gerold Huber) und Thomas Quasthoff (2005 mit Daniel Barenboim). Nur selten erfolgte bisher eine Aufführung der Winterreise durch Sängerinnen – obwohl die zur Sprache kommenden Gefühle durchaus universal sind. Immerhin drei Sängerinnen nahmen die Winterreise auf: Nach Christa Ludwig (1988 mit James Levine) und Brigitte Fassbaender (1990 mit Aribert Reimann) erschien erst kürzlich, im April 2021, Joyce DiDonatos Aufnahme mit Yannik Nézet-Séguin am Klavier.

Weiterführende Literatur

Informationen folgen.